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Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.

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Andrea Althaus, Linde Apel

Oral History

Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 28.03.2023
https://docupedia.de/althaus_apel_oral_history_v1_de_2023

DOI: https://dx.doi.org/10.14765/zzf.dok-2478

utzerin eines archivierten Oral History-Interviews im Lesesaal der Forschungsstelle für Zeitgeschichte

Nutzerin eines archivierten Oral History-Interviews im Lesesaal der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg 2022. Fotograf: Fabian Hammerl © (beschnitten)

Seit gut vierzig Jahren bereichert die Oral History die geschichtstheoretischen und methodischen Debatten der deutschsprachigen Zeitgeschichte. Zwar ist die anfängliche Skepsis gegenüber der Oral History längst einer breiten Akzeptanz und (teils unreflektierten) Anwendung gewichen. Doch was diese Methode und Forschungsperspektive genau ist und welchen historiografischen (Quellen-)Wert sie hat, ist noch nicht abschließend geklärt. Unser Beitrag zu dieser Diskussion fragt danach, welche Entwicklung die Oral History genommen hat, welche internationalen und -disziplinären Einflüsse bedeutsam sind, welche theoretischen und praktischen Konzepte ihr zugrunde liegen und was ihre Zukunft prägt.

1. Einleitung

Oral History – im Sinne von mündlich erfragter und erzählter Geschichte – begegnet uns fast überall: im Fernsehen, im Radio, im Internet, in Ausstellungen, in Veranstaltungen lokalhistorischer Initiativen, in erinnerungskulturellen Zusammenhängen, in Aufarbeitungsprojekten historischen Unrechts und im Klassenzimmer.[1] Eine zeitgeschichtliche Vermittlung (und Aufarbeitung) ohne sogenannte Zeitzeug:innen ist insbesondere in außerakademischen Kontexten kaum mehr vorstellbar. Audiovisuelle Interviews mit Personen, die über historische Ereignisse und vergangene Erfahrungen Auskunft geben, füllen Geschichte mit Leben und stoßen auf ein breites öffentliches Interesse.

Im Hörsaal und an Lehrstühlen sind Oral History-Interviews zwar nicht so omnipräsent wie in populärgeschichtlichen Zusammenhängen, aber auch in der zeithistorischen Forschung und Lehre hat ihre Bedeutung in den letzten vierzig Jahren zugenommen – sind mündliche Geschichtserzählungen doch ausgesprochen geeignete Quellen, um die Forderungen der neuen Kulturgeschichte einzulösen. Sie ermöglichen es, den Blick von den großen Strukturen auf die Individuen und ihre subjektiven Wahrnehmungen, Erfahrungen, Weltdeutungen, Verhaltens- und Handlungsweisen zu lenken. Diese Perspektiverweiterung macht die Vielfältigkeit und Komplexität historischer Wirklichkeiten sichtbar und wird so zum Beleg der kulturgeschichtlichen Kritik an „der“ Geschichte im Singular. Indem gezielt Personen und Gruppen befragt werden, die keine schriftlichen Quellen hinterließen und/oder geschichtswissenschaftlich lange Zeit marginalisiert wurden, wird zudem der alltagsgeschichtliche Anspruch nach Einbezug der „kleinen Leute“ und dem Schreiben einer „Geschichte von unten“ eingelöst.[2]

Die kulturgeschichtliche Wende löste seinerzeit bei einigen Historiker:innen Unbehagen aus, was sich auch in einer großen Skepsis gegenüber mündlich erfragten Quellen manifestierte. Die Oral History, bemerkte etwa der Literaturwissenschaftler Alessandro Portelli 1979, spuke wie ein „Schreckgespenst“ durch die Hallen der Geschichtswissenschaften.[3] Heute werden (lebens)geschichtliche Interviews als historische Quellen nur noch selten generell abgelehnt. Obwohl sie mittlerweile vollkommen selbstverständlich genutzt werden,[4] gibt es unterschiedliche Einschätzungen zur Frage, was Oral History eigentlich genau ist. Ist es eine historische Subdisziplin? Eine Methode? Eine Quellengattung? Oder eher eine Forschungsperspektive?[5]

Wir beginnen unsere Ausführungen mit einer Begriffsklärung, um darauf aufbauend die Geschichte der Oral History zu beleuchten, anschließend ihre theoretische Fundierung zu erläutern und danach die konkrete Forschungspraxis darzustellen. Im letzten Teil des Artikels widmen wir uns Fragen der Archivierung, der Zweitauswertung und Digitalisierung von Interviews. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf einer Oral History, die einen geschichtswissenschaftlichen Anspruch hat. Oral History in anderen Anwendungsfeldern, beispielsweise in der sozialen Altenarbeit, in Schulen oder Medien, verfolgt oft andere Ziele, bei denen es etwa um die Heilsamkeit des Erzählens oder eine emotionale Verbundenheit der Geschichtskonsumierenden geht, worauf wir nicht vertieft eingehen. Unsere Ausführungen konzentrieren sich zudem – international informiert – auf die Debatten und Entwicklungen in (West-)Deutschland.

 

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Eine Frau sitzt mit Kopfhörern an einer Schreibmaschine; neben ihr steht ein Tonbandgerät.
Oral History Association: „Photograph of a unidentified woman typing a
transcription of an audio tape reel“. Fotograf:in, Datum und Ort unbekannt.
Quelle: University of North Texas Libraries, UNT Digital Library; crediting
UNT Libraries Special Collections [20.03.2023]

 

2. Mündliche Geschichte? Oral History! Eine Begriffsklärung

Der Begriff „Oral History“ kommt ursprünglich aus den USA und hat sich im deutschsprachigen Raum im englischen Original eingebürgert. Lutz Niethammer umschrieb den Begriff Anfang der 1980er-Jahre als „unglückliche[s] und vieldeutige[s], aber öffentlichkeitswirksame[s] Schlagwort“.[6] Eine Übersetzung sei problematisch, weil Umschreibungen wie mündliche Geschichte, diachrones Interview oder historische Gedächtnisforschung jeweils nur einen Teil der Oral History umfassten. Daher, so Niethammer, übernehme man besser den „andernorts historisch gewachsenen Namen“.[7] Doch was meint der vieldeutige Sammelbegriff Oral History?

Oral History ist zunächst ein methodisches Instrumentarium zum mündlichen Erfragen und Aufzeichnen von geschichtlichen Erfahrungen. In der Anwendung dieser Forschungstechnik entstehen Quellen, nämlich Audio- oder Videoaufnahmen, auf deren Basis Geschichte geschrieben werden kann.[8] Oral History ist sowohl eine Quellengattung als auch eine Forschungsperspektive. Sie zeichnet sich durch ein bestimmtes Geschichtsverständnis aus, das bei den Menschen und nicht bei überindividuellen Strukturen ansetzt. Die Historikerinnen Julia Obertreis und Anke Stephan bringen dies prägnant auf den Punkt: „Oral History ist zugleich eine Methode, eine Quellenart und ein interdisziplinäres Forschungsfeld.“[9]

Das Forschungsfeld ist nicht nur von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen – u.a. (Historische) Anthropologie, Soziologie, Psychologie und Literaturwissenschaften – inspiriert,[10] sondern wird weltweit praktiziert.[11] Diese ausgesprochene Interdisziplinarität und Internationalität führen unweigerlich zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und resultieren in vielfältigen Interpretationen darüber, was Oral History sein soll und ist. Zudem unterliegt die Oral History, die seit gut achtzig Jahren (in Deutschland etwa halb so lange) betrieben wird, wie jedes andere Forschungsfeld auch historischen Wandlungen.

Grundlegende Motivation vieler Oral History-Projekte ist die Demokratisierung von Geschichtsschreibung. Lutz Niethammer, Leiter des ersten großen deutschen Oral History-Projekts Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930-1960 (LUSIR), schrieb 1980: „Eine demokratische Zukunft bedarf einer Vergangenheit, in der nicht nur die Oberen hörbar sind.“[12] Das LUSIR-Projekt verstand die Interviewten als gleichberechtigte Akteur:innen. Mittels Oral History sollte die Quellenproduktion „kooperativer“ und die Geschichtsdeutung „solidarischer“ werden.[13] Noch heute wird Oral History manchmal als „Bewegung“ zur Demokratisierung von Geschichtsproduktion und -schreibung bezeichnet,[14] was auf ihre Verankerung in den Neuen Sozialen Bewegungen der 1980er-Jahre verweist.[15]

Dass bei der Demokratisierung von Geschichtsschreibung gerade der Oral History eine wichtige Rolle zugesprochen wurde, ist kein Zufall, ist sie doch in der Lage, die in Archiven überlieferten – fragmentarischen und meist aus herrschaftlicher Perspektive verfassten – schriftlichen Quellen gezielt zu ergänzen. Insbesondere in der frühen bundesdeutschen Oral History wurden Interviews als „demokratische Gegenerzählungen von unten“ verstanden, deren wichtigste Funktion darin bestand, das – durch die nationalsozialistische Quellenproduktion (und -eliminierung) geprägte – Herrschaftsnarrativ kritisch zu hinterfragen.[16] Nicht nur in post-diktatorischen Staaten nutzen Historiker:innen das Potenzial der Oral History, Quellen aktiv generieren zu können, um Lücken in der archivischen Überlieferung zu schließen.[17] In den USA beschäftigt sich die älteste Traditionslinie der Oral History primär mit der Dokumentation politischer und wirtschaftlicher Eliten – nicht nur, aber auch um Quellendefizite zu beheben und mehr Licht in (politische) Entscheidungsprozesse zu bringen.[18]

Egal ob Historiker:innen Eliten oder „kleine Leute“ befragen, verbinden sie mit ihrem Tun ein bestimmtes Erkenntnisinteresse. Auch wenn ein solches immer themen- und projektspezifisch ist, lassen sich Gemeinsamkeiten und Trends ausmachen, die verschiedene Oral History-Vorhaben miteinander teilen. Der kleinste gemeinsame Nenner besteht darin, dass mit Interviews Erkenntnisse über Vergangenes gewonnen werden sollen. Im Gegensatz zu sozial- oder kulturwissenschaftlichen Interviewprojekten ist der Vergangenheitsbezug für Historiker:innen zentral. Es kann und darf uns, so Dorothee Wierling, nicht egal sein, „in welchem Verhältnis die erzählte Erinnerung zu vergangenem Geschehen bzw. Erleben steht“.[19]

Die Frage danach, wie Erzählung, Erinnerung, Erfahrung, Erlebnis und Ereignis zusammenhängen und welchen historischen Quellenwert diachrone Interviews haben,[20] begleitet die Oral History seit ihrem Aufkommen. Die Antworten darauf veränderten sich jedoch im Laufe der Zeit. Die anfängliche Hoffnung, über Interviews an historische Sachinformationen heranzukommen, wich bald der Erkenntnis, dass (lebens-)geschichtliche Erzählungen keinen direkten Zugriff auf „die“ Vergangenheit erlauben, dafür umso wertvollere Quellen für subjektive Deutungen von Geschichte, ihre Aneignung und Verarbeitung darstellen.[21] Wurde zu Beginn versucht, die Interviewführung so zu gestalten, dass Interviewende möglichst wenig Einfluss auf das Gesagte nehmen, um valide historische Evidenzen zu erzeugen, hat sich inzwischen die Einsicht durchgesetzt, dass Oral History-Interviews „Erzählungen in Gesprächsform“ sind.[22] Dialoghaftigkeit, Mündlichkeit, Subjektivität und Narrativität, die früher als Schwäche diachroner Interviews galten, werden längst als deren Stärken gesehen.[23] Heute wird nicht mehr nur danach gefragt, was Interviewpartner:innen erzählen, sondern auch wie, warum und wem gegenüber sie das tun. Bevor wir vertieft auf die theoretische Sensibilisierung und Fundierung der Oral History eingehen, bleiben wir noch einen Moment bei ihrer Geschichte.

 

3. Zur Geschichte der Oral History

Die mündliche Überlieferung gehört zu den ältesten Kulturtechniken und prägte für lange Zeit die Geschichtsschreibung. Im Zuge der Professionalisierung der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert büßten mündliche Erzählungen ihre Bedeutung jedoch ein, sodass in der Folge Geschichte fast ausschließlich mit Hilfe von schriftlichen Quellen geschrieben wurde.[24] Auch wenn Abhandlungen zur Oral History häufig bei oralen Traditionen im antiken Griechenland oder in afrikanischen Kulturen ansetzen, ist die Geschichte der Oral History im heutigen (westlichen) Verständnis – die auf aufgezeichneten Interviews mit historischem Fokus basiert – ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Denn eine wichtige Voraussetzung für ihre Entwicklung war technischer Natur. Aufnahmegeräte und Tonträger, die anfangs unhandlich, empfindlich und teuer waren, wurden bald erschwinglich, robuster und leicht zu bedienen.

Ein frühes Beispiel sind die auf Drahttonbänder aufgezeichneten Interviews, die der Chicagoer Psychologe David P. Boder 1946 mit Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung in europäischen DP-Lagern führte. Seine Interviews gelten als die ersten Dokumente, in denen die Stimmen von Überlebenden der NS-Verfolgung für die Nachwelt hörbar festgehalten wurden.[25] Die Geschichte der Holocaust Oral History, die mit diesem Projekt in der frühen Nachkriegszeit beginnt und in den 1970er-Jahren Fahrt aufnimmt,[26] ist für die (außerakademische) Wahrnehmung der Oral History prägend. Große Bekanntheit erlangte etwa die von Steven Spielberg initiierte Shoah Foundation, für die zwischen 1994 und 2000 mehr als 50.000 Videointerviews mit Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung geführt worden sind.[27] Auch in Deutschland wurden ab den 1990er-Jahren – insbesondere von Mitarbeiter:innen in den KZ-Gedenkstätten – zahlreiche Interviews mit überlebenden NS-Verfolgten geführt. Darauf bauten einige Publikationen auf, die mit ihrer methodischen Reflexion Maßstäbe setzten.[28]

Für die frühe Oral History spielte jedoch – abgesehen vom Boder-Projekt – der Holocaust noch keine große Rolle. Die in vielerlei Hinsicht wegweisende US-amerikanische Oral History lässt sich grob in zwei Richtungen unterteilen. Zum einen wurden, wie oben dargelegt, Eliteninterviews geführt. In dieser politikgeschichtlichen Traditionslinie steht das älteste Oral History Archiv, das Columbia Center for Oral History Research (CCOHR), das 1948 von dem Historiker und Journalisten Allan Nevins gegründet wurde, der häufig als Initiator der Oral History bezeichnet wird.[29] Im Gegensatz zum deutschsprachigen Raum ging das Führen und Sammeln von Interviews in den USA maßgeblich von Archiven und Bibliotheken aus.[30] Zum anderen bezog sich das Interesse US-amerikanischer Oral Historians auf jene Gruppen, die kaum schriftliche Quellen produzierten und in der Geschichtsschreibung nicht als Subjekte vorkamen wie beispielsweise ehemalige versklavte Menschen oder indigene Bevölkerungsgruppen. Ihnen sollte, wenn nicht zur eigenen Stimme, so doch zu mehr Gehör verholfen werden.[31] Dieser sozialgeschichtlich geprägte Zweig der Oral History kam in den 1970er-Jahren – eng verbunden mit der Arbeiter:innengeschichte – auch in England auf.[32]

In außerakademischer Hinsicht waren insbesondere die britischen History-Workshops einflussreich, in denen auch Nichtakademiker:innen auf kritische und sympathisierende Weise Lokalgeschichte betrieben. Diese neue Form von Geschichtsschreibung wurde bald in anderen Ländern aufgegriffen, so etwa von den bundesdeutschen Geschichtswerkstätten.[33] Das Interesse daran, bisher unbeachtete Gruppen und ihre Erfahrungen und Erzählungen sichtbar zu machen und Vergessenem wieder mehr Aufmerksamkeit zu geben, war ein zentrales Anliegen der sich in den 1980er-Jahren durchsetzenden Alltagsgeschichte.[34] In der Bundesrepublik ist die Entwicklung der Oral History eng damit verbunden, denn Interviews galten als besonders geeignete Quellen zur Erfassung von Alltagserfahrungen und -einstellungen.[35]

In der DDR stellte sich die Entwicklung etwas anders dar. Zeitzeug:innen und ihre politisch genehmen Aussagen waren zwar institutionalisiert und fanden in Schulen, Betrieben und Gedenkstätten viel Gehör. Zugleich war es kaum möglich, sich mit diesen Aussagen kritisch auseinanderzusetzen oder sie gar zu hinterfragen, zumal die staatlich reglementierten Zeitzeug:innen politisch stark eingehegt waren.[36] Alltagsgeschichtliche Interviews waren dagegen nicht erwünscht und mussten beantragt und genehmigt werden.[37] Interviews waren aber im Journalismus selbstverständlich, wenngleich in diesem Kontext nicht immer lebensgeschichtliche Narrative entstanden.

Zudem litten die durchgeführten Interviews unter einer ökonomischen Realität, die den Zugang zu Tonträgern erschwerte. So wurden Interviews zwar aufgenommen, nach der Abschrift mussten sie aber gelöscht werden, um wiederverwendet werden zu können.[38] Auch in der Dokumentar- oder Protokollliteratur spielten sie eine wichtige Rolle, und entsprechende Veröffentlichungen wurden viel gelesen.[39] In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre mit ihren tentativen Schritten hin zu politischen und gesellschaftlichen Aufbrüchen wurde das lebensgeschichtliche Sprechen abseits von ideologischen Beschränkungen und politischer Indienstnahme nach und nach möglich.[40] Die besondere politische Konstellation dieser Jahre ermöglichte auch jene Interviews, die kurz vor der „Wende“ von westdeutschen Historiker:innen an einigen Orten der DDR entstanden.[41]

Auch in Westdeutschland fasste die Oral History – im Vergleich zu den USA, Großbritannien und anderen westlichen Industrienationen – mit deutlicher Verspätung Fuß. Anfänglich waren es einzelne Historiker:innen, die über persönliche Kontakte zu internationalen Oral Historians diese Methode in den späten 1970er-Jahren in der Bundesrepublik bekannt machten, was auf die Wichtigkeit persönlicher transnationaler Netzwerke für die Entwicklung der Oral History verweist. Neben Lutz Niethammer, der 1975 eigens in die USA reiste, um sich mit dieser Forschungstechnik vertraut zu machen,[42] ist die feministische Historikerin Annemarie Tröger zu nennen. Sie hatte die Oral History Anfang der 1970er-Jahre beim Historiker und Bürgerrechtsaktivisten Lawrence Goodwyn an der Duke University in North Carolina kennengelernt. Als sie ab 1976 an der FU Berlin forschte, begann sie mit der Methode zu experimentieren und führte eines der frühen Oral History-Projekte in Deutschland durch.[43]

Annemarie Tröger stand im engen Austausch mit Pionier:innen der Oral History wie Paul Thompson (England), Laura Passerini (Italien), Ronald Grele (USA), Daniel und Isabelle Bertaux-Wiame (Frankreich), sie war Redaktionsmitglied des „International Journal of Oral History“ und nahm – wie Lutz Niethammer – an den seit 1976 im zweijährigen Turnus weltweit stattfindenden internationalen Oral History-Konferenzen teil, aus denen 1996 formal die International Oral History Association (IOHA) hervorging. Der internationale Austausch war für die frühen Oral Historians insofern besonders wichtig, als sie sich in ihren nationalen Zünften viel Skepsis und Kritik ausgesetzt sahen – nicht nur, aber gerade auch in Deutschland.[44]

 

Oral History Association: Sam Tan (University of Philippines), Ronald J. Grele (Colloquium chairman), Annemarie Tröger (Freie Universität Berlin) und Paul Thompson (University of Essex) (v.l.n.r.). Fotograf:in: unbekannt, ca. 1979/1980. Quelle: University of North Texas Libraries, UNT Digital Library [20.03.2023]
Oral History Association: Sam Tan (University of Philippines), Ronald J. Grele (Colloquium chairman), Annemarie Tröger (Freie Universität Berlin) und Paul Thompson (University of Essex) (v.l.n.r.). Fotograf:in: unbekannt, ca. 1979/1980. Quelle: University of North Texas Libraries, UNT Digital Library [20.03.2023]

 

Das relativ späte Aufkommen der Oral History in der Bundesrepublik hängt nicht zuletzt mit ihrer nationalsozialistischen Vorgeschichte zusammen. Da Erinnerungen an den Nationalsozialismus in Entnazifizierungsverfahren oder in Selbstzeugnissen häufig durch Verdrängungen, apologetische Haltungen oder gar Lügen verformt dargestellt wurden, wies die bundesdeutsche Zeitgeschichte Erinnerungserzählungen als vermeintlich unzuverlässige Quellen jahrzehntelang zurück.[45] Einen starken Schub erfuhren alltagsgeschichtliche Ansätze und die Oral History im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten, als im Jahr 1979 Historiker:innen, die der Oral History aufgeschlossen gegenüberstanden, nachdrücklich die „Befragung von Zeitgenossen“ als Mittel gegen Verdrängen und Vergessen und als Methode für Wettbewerbsbeiträge propagierten.[46]

In dieser Zeit fand das erste große akademische Oral History-Vorhaben in Deutschland statt: das bereits erwähnte LUSIR-Projekt. Unter der Leitung von Lutz Niethammer machte sich eine junge Generation links positionierter Historiker:innen auf, um die Ruhrarbeiterschaft lebensgeschichtlich zu interviewen. Die Interviewer:innen erwarteten – in Bezug auf die NS-Zeit – Geschichten des Widerstands und der Unterdrückung, stießen jedoch überwiegend auf Erzählungen von Konsens und Anpassung. Die Erfahrung, dass die Befragten die Thesen der Wissenschaftler:innen umwarfen, nannten Niethammer und seine Kolleg:innen den „Enttypisierungsschock“. Historische Großerzählungen von „der“ Arbeiterklasse, von Auflehnung und Klassenkampf, fielen bei der Analyse der Interviews in sich zusammen und machten Platz für andere Deutungen: für die Geschichte eines unpolitischen Lebens von Arbeitern, Angestellten und Hausfrauen, die sich mit dem diktatorischen System arrangiert hatten.[47]

 

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Buchcover, das eine Gruppe von Menschen zeigt, die aus dem Bergarbeiter-Milieu stammen.
Cover: Lutz Niethammer/Alexander von Plato (Hrsg.),
„Wir kriegen jetzt andere Zeiten“. Auf der Suche nach der
Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern,
Bd. 3, Bonn, J.H.W. Dietz Verlag 1985

 

Die Auseinandersetzung der Projektbeteiligten mit den unerwarteten Geschichten wirkte zum einen auf inhaltlicher Ebene, in Bezug auf Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Geschichte, nachhaltig auf zeithistorische Forschungsfragen ein. Ihre Diskussionen führten zum anderen zu wertvollen Impulsen für die methodologische (Weiter-)Entwicklung der Oral History in Deutschland.[48] LUSIR wirkte zudem auf die Institutionalisierung der Oral History in der Bundesrepublik ein. Detlev Peukert, der anfänglich an dem Projekt beteiligt gewesen war, gründete 1990 als Leiter der späteren Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg das Interviewarchiv Werkstatt der Erinnerung (WdE).[49]

Die WdE gehört heute zu den ältesten und größten Archiven und Kompetenzzentren für Oral History in Deutschland – zusammen mit dem Archiv Deutsches Gedächtnis am Institut für Geschichte und Biographie der Fernuniversität Hagen, das von Alexander von Plato, ebenfalls ein ehemaliger Mitarbeiter im LUSIR-Projekt, 1993 gegründet wurde. Dieser und seine Mitarbeitenden waren und sind in der IOHA international vernetzt und prägen seit Jahrzehnten u.a. mit der Herausgabe der Fachzeitschrift „BIOS“ die (methodologischen) Diskussionen im Bereich Oral History mit.[50] Unter Beteiligung von Alexander von Plato entstanden zudem bereits kurz vor der „Wende“ unter einigermaßen abenteuerlichen Bedingungen Interviews in der DDR.[51] Zur DDR-Vergangenheit und zu den Erfahrungen des Umbruchs in diesem Land liegen unterdessen zahlreich und an verschiedenen Orten Interviews vor.[52]

Die hier genannten Institutionen – und weitere aus dem deutschsprachigen Raum – stehen in engem Austausch und sind Teil des 2014 initiierten Netzwerks Oral History.[53] Zudem arbeiten sie gemeinsam am Aufbau des sammlungsübergreifenden Archivportals Oral-History.Digital.[54] Kooperationen im nationalen Kontext haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen und ergänzen den internationalen Austausch, der auf den Konferenzen der IOHA sowie im Netzwerk Oral History der European Social Science History Conference in lebendigen Debatten gepflegt wird. Zu diskutieren gibt es viel, denn mündliche Erzählungen sind hochkomplexe Quellen.

 

4. Theoretische Fundierungen und Dimensionen der Interview-Auswertung

In einem Oral History-Interview erinnert sich – idealtypischerweise – eine Person zu einem bestimmten biografischen Zeitpunkt im Leben und in einer historisch spezifischen Gegenwart – mit Blick auf eine antizipierte Zukunft – an Erlebnisse aus der Vergangenheit. Sie erzählt von ihren eigenen Erfahrungen und denen Dritter, sie vermittelt Meinungen und Deutungen ihrer Selbst und der Welt und verknüpft die einzelnen Episoden mit narrativen Mitteln zu einem kohärenten Ganzen. Das tut sie nicht für sich allein, sondern gegenüber einer leibhaftig anwesenden anderen Person, die ihrerseits ein biografisch-sozial-kulturell konkretes Wesen darstellt. Die beiden verfertigen im gemeinsamen Gespräch Geschichten von Vergangenheiten und handeln interaktional und performativ Selbstbilder aus.

Was auf der Aufnahme zu hören oder sehen ist, geht dabei weit über das Gesagte hinaus. Tonfall, Sprechrhythmus, Pausen, nonverbale Lautäußerungen, Gesten, Mimik etc. sind bedeutungsvoll. Kurz: In Oral History-Interviews überlagern sich verschiedene Zeitebenen (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), und Individuelles vermischt sich untrennbar mit Gesellschaftlichem. Die erinnerten Erfahrungen sind narrativ konstruiert und hör-/sichtbarer Ausdruck einer kommunikativen Beziehung. Zudem werden im lebensgeschichtlichen Erzählen Identitätsaspekte aufgebaut und ausgehandelt. Um nicht verkürzt Erzählung mit Ereignis zu verwechseln oder eine Selbstaussage mit einer unveränderlichen Identität gleichzusetzen, begannen Oral Historians früh nach theoretischen Konzepten zu suchen, die ihnen dabei helfen sollten, ihre Quellen besser zu verstehen. Dafür machten sie häufig Anleihen bei benachbarten Disziplinen.[55]

Um das komplexe Verhältnis zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit und den Zusammenhang zwischen Individuellem und Kollektivem in den Blick zu bekommen, lassen sich Oral Historians seit Anfang der 1990er-Jahre oft von sozial- und kulturwissenschaftlichen Gedächtnistheorien inspirieren. Erinnerungen, so eine zentrale Erkenntnis, sind sozial und kulturell bedingt und damit wandelbar. Je nachdem in welchem gesellschaftlichen Umfeld sich die Individuen bewegen, verändern sich ihre Erinnerungen und damit auch die Vergangenheitsbilder und -vorstellungen.[56] Gedächtnisinhalte, die in Oral History-Interviews vermittelt werden, sind demnach sozial geprägte, kommunikative Konstruktionen.

Erinnerungen sind nicht nur individuell und kollektiv zugleich, sondern stets auch retro- und prospektiv. Erinnernd werden das gegenwärtige, das vergangene und das zukünftige Ich in Relation gesetzt. Auf diese Weise konstruieren Menschen ein Selbst, in dem sie sich – aller (körperlichen) Veränderungen zum Trotz – als „Ich“ wiedererkennen. Dass die Herstellung narrativer Kohärenz nicht immer gelingt, kann an dieser Stelle nicht vertieft, soll aber kurz erwähnt werden. Insbesondere traumatische Erfahrungen lassen sich nicht einfach integrieren, was sich in Interviews in Form von Abbrüchen, Leerstellen und Zusammenhanglosigkeiten manifestieren kann.[57] Neben der identitätsstiftenden Funktion dient die Vergegenwärtigung von Vergangenem der Temporalisierung subjektiver Wirklichkeiten.[58]

Zeitzusammenhänge, wie sie in Oral History-Interviews hergestellt werden, haben stets eine narrative Struktur. Erzählen gilt als der zentrale sprachliche Modus zur zeitlichen Organisation von Erfahrungen. Eine Erzählung hat, so die klassisch aristotelische Definition, eine Anfang-Mitte-Ende-Struktur, in der sich ein Handlungsverlauf entfaltet.[59] Daher bietet die Narratologie interessante theoretische Konzepte für die Oral History. Analytisches Potenzial hat etwa die Erkenntnis, dass in der Erzählung dem Erlebten Bedeutung verliehen wird. Lebensgeschichtliche Interviews sind also wunderbare Quellen, um herauszuarbeiten, wie Menschen sich selbst ihre Welt erklären und (historische) Ereignisse mit Sinn ausstatten. Dabei wird in Oral History-Interviews nicht nur semantisiert, sondern auch neu strukturiert, ästhetisiert und fiktionalisiert. Erzähler:innen bedienen sich kulturell geprägter Plot-Strukturen und füllen Lücken in der Handlungskette mit schöpferischer Einbildungskraft. Sie bringen die erinnerten Erfahrungen in eine neue zeitliche Abfolge und entscheiden, welche Episoden ihres Lebens sie präsentieren wollen und welche nicht.

Trotzdem sind (lebens-)geschichtliche Erzählungen in der Regel nicht rein fiktional oder gar fiktiv.[60] Im Gegensatz zu literarischen Texten reklamieren sie für sich, reale Erlebnisse zu thematisieren. Sie können als „Wirklichkeitserzählungen“ beschrieben werden, die historische Bezüge aufweisen und konstruktiv sind.[61] Oral Historians sollten daher keine rein thematische Inhaltsanalyse vornehmen, sondern stets auch danach fragen, wie – formal, sprachlich, erzählstrukturell und interaktional – erzählt wird.

Eine historische Auswertung darf sich jedoch nicht damit begnügen, die inneren Mechanismen einer Erzählung zu rekonstruieren. Für Historiker:innen ist es wichtig, den außertextuellen Referenzen nachzuspüren und danach zu fragen, wie das erzählte und das gelebte Leben zusammenhängen und inwiefern das historiografisch relevant ist. Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erfahrung fruchtbar. Erfahrungen können mit Alfred Schütz und Thomas Luckmann als gedeutete Erlebnisse definiert werden. Ein Erlebnis wird dann zur Erfahrung, wenn ein Individuum sich reflexiv damit auseinandersetzt und es in einen Sinnzusammenhang mit bisherigen Erfahrungen stellt. Bezugspunkte sind neben persönlichen Erlebnissen auch gesellschaftlich vermittelte Relevanzsysteme wie auch Filme und andere kulturelle Artefakte.[62] Was uns in Oral History-Interviews begegnet, kann daher, mit Ulrike Jureit gesprochen, als „Erfahrungssynthese“ beschrieben werden, die zugleich individuell und kollektiv ist und das Jetzt mit dem Damals verwebt.[63]

Auch wenn sich die zeitliche Aufschichtung einer Erfahrungssynthese analytisch nicht entwirren lässt, verweisen Vergegenwärtigungen von Vergangenem immer auf Erlebnisse und Diskurse, die nicht in der Gegenwart wurzeln.[64] Sie liegen aber nie als unveränderte Objekte vor, sondern sind immer nur in einer erfahrungsgebundenen, subjektiven Aneignung und Interpretation zugänglich. Und genau hier liegen die eigentlichen Stärken mündlicher Befragungen. Wenn Oral History als „Erfahrungswissenschaft“ verstanden wird, so Alexander von Plato, kann „die Verarbeitung von Geschichte und die Nachwirkung früherer Erlebnisse auf gegenwärtige Haltungen und Handlungen“ untersucht werden.[65]

Oral History als Erfahrungs- oder Deutungsgeschichte zu schreiben, erfordert eine Kontextualisierung der audio(-visuellen) Narrative in ihrem biografischen, gesprächssituativen und historischen Zusammenhang. Während die biografische Gebundenheit und der Entstehungskontext auf der Ebene des einzelnen Interviews analysiert werden können, benötigt die Einordnung der geschichtlichen Bezüge eine Kontrastierung mit anderen Quellen (weitere Ego-Dokumente, Zeitungsartikel, Archivalien etc.). Ein Vergleich zielt nicht primär darauf ab, den Wahrheitsgehalt von (lebens-)geschichtlichen Erzählungen zu hinterfragen, sondern dient dazu, ihre Individualität und Subjektivität herauszuarbeiten.[66] Um erkennen zu können, wie subjektiver Sinn konstruiert wird, untersuchen Oral Historians seit einigen Jahren vermehrt narrative Strukturen.[67] Denn wie oben dargestellt, sind Erfahrungen in Oral History-Interviews immer nur als Erzählungen greifbar.

Ein weiterer analytischer Zugang, der schon vor Jahrzehnten gefordert wurde, aber nur selten systematisch verfolgt wird, ist der Einbezug des Hörsinns. Denn mündliche Quellen sind mündliche und damit zu hörende Quellen.[68] Gerade die oralen Aspekte – wie Tonfall, Dialektfärbungen, Betonungen oder nonverbale Äußerungen – sind Träger von Bedeutungen. Gleiches gilt im Fall von Videointerviews für visuelle Aus- und Eindrücke.[69] Weil diese nicht angemessen transkribierbar sind (egal wie ausgefeilt das Transkriptionssystem ist), stellt die Aufnahme die eigentliche Quelle dar.[70] Wir plädieren daher unbedingt für das genaue Hinhören und -sehen. Insbesondere emotionale Aspekte und die kommunikative Dynamik können besser gehört/gesehen als gelesen werden. Dass die Beziehung zwischen den am Gespräch Beteiligten zentral ist für die Ausgestaltung (lebens-)geschichtlicher Narrative, zählt mittlerweile zum Gemeinwissen von Historiker:innen. Jedes Interview, so der weitgehende Konsens, muss als kooperative Anstrengung betrachtet werden. Die „kreative Rolle“ der Interviewenden sollte daher ebenso berücksichtigt werden wie das sich entfaltende – und im Laufe des Gesprächs möglicherweise changierende – (Macht-)Verhältnis zwischen den Gesprächspartner:innen.[71]

Fragen nach der Gestaltungsmacht im Interview und der Deutungshoheit in der Interpretation begleiten die Oral History seit vielen Jahren. Die bereits im LUSIR-Projekt konzeptionell bedachte Rolle der Befragten als Subjekte ihrer Geschichte verweist auf den Anspruch einer kollaborativen Geschichtsschreibung. Eine Geschichte „von unten“ – also gemeinsam mit den historischen Akteur:innen – zu schreiben, erwies sich jedoch als äußerst schwierig, weil sich, so Lutz Niethammer, das Spannungsverhältnis zwischen den Deutungen der Befragten sowie den Interpretationen von Historiker:innen nicht einfach auflösen ließ.[72] In der Folge behielten in der geschichtswissenschaftlichen Oral History meist die Interviewer:innen das letzte Wort bei der Analyse, Interpretation und Veröffentlichung.[73] 

Unter dem Stichwort Shared Authority nahm die Diskussion um kollaborative Ansätze in den 1990er-Jahren erneut Fahrt auf. Geprägt wurde der Begriff von Michael Frisch, einem amerikanischen Oral Historian, der diesen vor allem auf die kommunikative Ebene in der Interviewsituation sowie auf die Bearbeitung des Transkripts bezog.[74] Die Idee, Verantwortung und Autor:innenschaft zu teilen, wurde seither vielfach aufgegriffen und im Sinne umfassenderer Kollaborationen erweitert.[75] Gleichberechtigte Co-Forschungen, in denen Interviewte vom Forschungsdesign bis zur Auswertung einbezogen werden, wurden jedoch lange Zeit vorwiegend in eher aktivistisch motivierten Projekten umgesetzt, die im Sinne eines Empowerments einer marginalisierten gesellschaftlichen Gruppe Gehör verschaffen wollen.[76]

Solange die Deutungen der Projektbeteiligten nicht konfligieren, ist es relativ unproblematisch, Verantwortlichkeit zu teilen. Historiker:innen sollten ihre intellektuelle Kontrolle jedoch nicht abgeben, wenn andernfalls geschichtsrevisionistische, antidemokratische, rassistische, misogyne etc. Deutungen in die Geschichtsschreibung einfließen. Auch die Grundwerte geschichtswissenschaftlichen Arbeitens – etwa die ausgewogene Berücksichtigung verschiedener Stimmen, Sichtweisen und das Vetorecht der Quellen – dürfen nicht geopfert werden. Die Grenzen einer Shared Authority müssen also stets bedacht und offen kommuniziert werden.

Projekte kollaborativer Geschichtsproduktion, bei der Interviewer:innen und Interviewte auf gleicher Ebene zusammenarbeiten und ein gemeinsames Ergebnis vorlegen, werden heute auch im akademischen Bereich häufiger.[77] Oft handelt es sich dabei um Vorhaben, in denen Quellen gemeinsam erhoben werden. Jüngste Forschungen, insbesondere im Kontext von Flucht, Migration und postkolonialen Debatten, verweisen auf neue Formen der Zusammenarbeit, die über das bisherige Verständnis von geschichtswissenschaftlicher Forschung weit hinausgehen.[78] Vorhaben, die mehr Partizipation in der Quellenproduktion und/oder -interpretation wagen, sollten allerdings genau überlegen, was sie den Teilnehmenden versprechen. Die Einhaltung forschungsethischer Grundsätze, wie Almut Leh sie bereits vor 20 Jahren formuliert hat, ist hier umso wichtiger. Insbesondere müssen die Form der Kooperation und ihre Grenzen sowie die Ebenen der Verantwortung transparent vermittelt werden.[79] Die Chancen, dass mit solcherart Projekten das Konzept der geteilten Autor:innenschaft und Verantwortung – etwa in Kombination mit Ansätzen aus der partizipativen Forschung – geschärft wird, stehen gut, hängt die theoretische Reflexion in der Oral History doch stets mit ihrer Praxis zusammen.[80]

 

Interviewsituation aus dem Projekt „Inklusives Digitales Erinnerungsarchiv“ (IDEA) , Freiburg 2020/21. Foto: IDEA © https://heridea.de/ [20.03.2023]
Interviewsituation aus dem Projekt „Inklusives Digitales Erinnerungsarchiv“ (IDEA) , Freiburg 2020/21. Foto: IDEA © https://heridea.de/ [20.03.2023]

 

5. Doing Oral History: Forschungspraktische Hinweise zur Durchführung von Interviews

Oral History ist eine international unterschiedlich gehandhabte, von verschiedenen Disziplinen geprägte, methodisch wenig festgelegte Forschungspraxis. Eindeutige Regeln, nach denen ein Oral History-Interview zu führen ist, gibt es nicht. Zwischen dem Anspruch, möglichst effektiv, etwa für ein unter Zeitdruck stehendes Forschungsprojekt, und möglichst ertragreich, im Sinne einer zukünftigen Archivierung, zu interviewen, hat sich die biografisch-narrative Methode als empfehlenswert erwiesen. Das narrative Interview ermöglicht den Befragten, das zu erzählen, was ihnen wichtig ist, und erlaubt den Interviewenden zugleich, ihren spezifischen Forschungsfragen nachzugehen. Diese Methode wurde von der soziologischen Biografieforschung und der einstigen Volkskunde beeinflusst und basiert in ihrer Erweiterung auf langjährigen Erfahrungswerten von Historiker:innen.[81] Ob nun begrenzte Ereignis- oder Handlungszusammenhänge im Zentrum des Interesses stehen oder es darum geht, eine umfassende Erzählung über die Lebensgeschichte zu stimulieren: In beiden Fällen sollten die Interviewer:innen eine freie Erzählung anregen.[82] Oral History-Interviews entstehen also aufgrund eines aktiven Interesses einer fragenden Person, deren wichtigste Fähigkeit das aufmerksame Zuhören sein sollte.[83] 

Das idealtypische narrative Interview beginnt mit einer zeitlich und thematisch offen formulierten Eingangsfrage, die eine Erzählung nach sich zieht. Diese sogenannte Ersterzählung wird möglichst nicht durch Nachfragen unterbrochen. Signalisiert der/die Interviewte das Ende ihres Berichts, stellen die Interviewenden Fragen, die weitere Erzählungen generieren sollen, um das bisher Gesagte genauer zu verstehen und zu vertiefen. Zum Schluss folgen jene Fragen, die sich zum einen auf Aspekte beziehen, die bisher noch nicht angesprochen wurden, und zum anderen für das eigene Forschungsprojekt relevant sind.[84] Für alle Phasen eines Interviews gilt, dass die interviewende Person Momente des Schweigens aushält, aktiv zuhört und der interviewten Person die Gelegenheit gibt, zu sagen, was ihr wichtig ist.

Die lebensgeschichtlich-narrative Methode ist vor allem im deutschsprachigen Raum weit verbreitet. Hinweise zur Interviewführung aus dem anglo-amerikanischen Kontext, die gleichermaßen pragmatisch und umfassend sind und sich auf die Vor- und Nachbereitung von Interviews beziehen, sind jedoch auch für die hiesige Praxis wertvoll.[85]

Zur Vorbereitung gehört die Frage, wer warum interviewt werden soll, um die Intention dem/der Interviewten gegenüber offen und verbindlich kommunizieren zu können. Eine sorgfältige Recherche über die Person und den Ereigniszusammenhang ist unerlässlich, sollte im Interview die Erzählungen aber nicht behindern. Sich vor dem Gespräch mit der Aufnahmetechnik vertraut zu machen, ist ebenso wichtig wie die Klärung der Frage, wo und wie die Interviews nach Abschluss des Projekts archiviert werden sollen. Für die Langzeitarchivierung sollte auf eine qualitativ hochwertige Aufnahme geachtet werden. Zudem muss ein Vertrag vorbereitet sein, die sogenannte Einverständniserklärung, in der Nutzungsrechte und Datenschutz geregelt sind.[86]

Es empfiehlt sich, über alle Phasen der Gesprächsanbahnung, -durchführung, -bearbeitung und -auswertung ein Forschungstagebuch zu führen.[87] Informationen über den Entstehungs- und Durchführungskontext des Gesprächs schriftlich niederzulegen, ist nicht nur für die eigene Auswertung, sondern auch für eine Sekundäranalyse unabdingbar. Eine Transkription ist hilfreich, sollte aber nicht das Anhören oder Ansehen der Aufnahme ersetzen, weil diese, wie oben ausgeführt, die eigentliche Quelle ist. Last, but not least sind forschungsethische Aspekte zu berücksichtigen. Denn Interviews sind sensible Quellen, die personenbezogene Daten enthalten und daher besonderen Schutz erfordern. Deshalb müssen den Befragten Anlass und Ziel ebenso wie die zukünftige Archivierung und Nutzungsmöglichkeiten des Interviews transparent kommuniziert werden. Zudem sollten sie die Möglichkeit haben, das Interview nach Abschluss zu prüfen und ggf. Passagen der Aufnahme zu sperren.[88]

 

6. Archivierung, Sekundäranalyse, Digitalisierung

Interviews wurden lange als Privatbesitz der Wissenschaftler:innen betrachtet und nach Abschluss der eigenen Arbeit nur selten anderen Forscher:innen als Quellen zugänglich gemacht. Das Zögern hatte häufig gute Gründe: fehlende Ressourcen, die Interviews für eine Archivierung vorzubereiten, offen gebliebene Fragen, fehlende Einverständniserklärungen, schlechte Aufnahmen, aber auch ein Bedürfnis, sich als Interviewer:in vor „fremden“ Blicken und Ohren zu schützen. Unklare beziehungsweise fehlende Archivierungsregeln für Interviews verstärkten das Problem. All dies führte zu dem gleichermaßen praktischen wie schwerwiegenden Nebeneffekt, dass mündliche Quellen nicht überprüfbar waren.

Andererseits wurden Interviews bereits frühzeitig archiviert und damit für eine Nutzung außerhalb des Entstehungskontextes verwendbar gemacht, auch wenn die dabei entstandenen Quellen nicht immer den heutigen methodischen Ansprüchen genügen. Häufig wurden nur Abschriften der Gespräche aufbewahrt. Dazu kann das in der Frühzeit des Instituts für Zeitgeschichte in München gesammelte „Zeugenschrifttum“ gerechnet werden, bei dem bereits an der Bezeichnung deutlich wird, dass die Mündlichkeit in den Hintergrund geriet.[89]

Die Forschungsstelle für die Geschichte Hamburgs von 1933 bis 1945 (später: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg) archivierte ebenfalls (nur) Protokolle von Befragungen von Funktionsträgern des NS-Regimes und einigen Verfolgten im Jahr 1949.[90] Auch staatliche Archive sammelten vereinzelt schon früh Interviews. Ein Beispiel ist die Sammlung Hüttenberger im Landesarchiv NRW, zu der 155 Gespräche mit Verwaltungsangestellten und Politiker:innen aus den späten 1960er- und 1970er-Jahren gehören.[91] In den frühen 1990er-Jahren entstanden eigens angelegte Interview-Archive wie die Werkstatt der Erinnerung an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (1990), die zunächst vor allem die Stimmen von NS-Verfolgten sammelte, und das Archiv deutsches Gedächtnis (1993), das die Interviews aus dem LUSIR-Projekt aufnahm. Die themenspezifische Sammlung Archiv der Erinnerung (1995-1998) umfasst Videointerviews mit Überlebenden der Shoah aus Berlin und Brandenburg. Auch im Dokumentationszentrum und Museum über die Migration nach Deutschland e.V. (DOMiD) werden seit 1990 Selbstzeugnisse, darunter auch Interviews, gesammelt.

An den Bezeichnungen dieser unterschiedlich konzipierten Einrichtungen wird der zeitgeschichtliche und erinnerungspolitische Fokus deutlich. Interviews mit historiografisch marginalisierten Personen wurden erhoben und bestehende Einzelsammlungen professionell archiviert und für eine wissenschaftliche Folgenutzung zugänglich gemacht. Mit dem sich vergrößernden Abstand zu den Ereignissen der Jahre 1933 bis 1945 und der daraus folgenden Medialisierung der Zeitzeug:innen wurden archivierte Interviews für die Pädagogik, von Museen und anderen kulturellen Produkten wie beispielsweise Filmproduktionen entdeckt. Im neuen Jahrtausend gewannen digital zugängliche Interviewsammlungen an Bedeutung. So hält das Center für digitale Systeme an der FU Berlin seit 2006 Interviews zu den Themenfeldern Nationalsozialismus, Holocaust und weiteren Themen der Zeitgeschichte bereit.[92] 

Längere Zeit wurden Interviews archiviert und genutzt, ohne dies theoretisch zu reflektieren. Wie so häufig wurde über die Bedeutungen und Konsequenzen des späteren Umgangs mit mündlichen Quellen zuerst in der englischsprachigen Oral History diskutiert.[93] So fragte etwa Joanna Bornat an einem konkreten Beispiel nach den forschungsethischen Implikationen einer erneuten Auswertung: Ist es legitim, Interviews zum Thema Hausarbeit auf rassistisches Gedankengut der befragten Frauen hin zu untersuchen, wenn diese für eine solche Frage ihr Einverständnis eventuell nicht gegeben hätten?[94] Eine Einverständniserklärung, die die wissenschaftliche Auswertung außerhalb des ursprünglichen Projekts erlaubt, sowie eine Anonymisierung der Quellen bieten sich hier als Lösungen an. Die zunehmende Anerkennung der Oral History führte auch im deutschsprachigen Kontext zu einer steigenden Nachfrage nach archivierten Interviews, was die Sekundäranalyse als neue thematisch, methodisch und forschungsethisch zu reflektierende Forschungsstrategie in den Fokus rückte.[95]

Unter Sekundäranalyse soll hier die Auswertung von Interviews verstanden werden, die von anderen konzipiert und geführt wurden und deren Entstehungskontext und Erkenntnisinteressen nicht mit den eigenen Forschungsfragen übereinstimmen. Die Soziologin Brigitte Halbmayr diskutierte dies richtungsweisend am Beispiel von Interviews, die mit weiblichen Überlebenden des Konzentrationslagers Mauthausen geführt wurden.[96] Die Historiker:innen Julia Paulus und Matthias Frese nahmen die Debatte um ein (vermeintliches) Verstummen der Stimmen über die NS-Zeit und ihre Folgen zum Anlass und regten mit einem regionalen Projekt über die Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften zur Reflexion über die Zweitnutzung archivierter Interviews an.[97]

Seither wird intensiv darüber diskutiert, wie in der Geschichtswissenschaft mit der Fülle der bisher erhobenen Interviews umgegangen werden kann, welche Erfahrungen es damit gibt und welche Voraussetzungen gegeben sein sollten, um nicht selbst geführte Interviews quellenkritisch angemessen verwenden zu können. Almut Leh weist in dem Zusammenhang auf einige grundlegende Bedingungen hin: Die Interviews müssen archiviert und entsprechend erschlossen sein, um sie recherchieren zu können, und sie müssen schließlich sichtbar und in der Wissenschaftswelt bekannt sein.[98]

Daran schließt sich die Frage an, woraus die mündliche Quelle besteht, die es zu archivieren gilt. Zur Quelle Interview gehören neben der Aufnahme idealerweise ein Transkript und die Einverständniserklärung, in der die am Interview Beteiligten die Nutzung der Aufnahme festlegen. Bestenfalls sind auch Informationen über den Entstehungskontext überliefert, die für die Einordnung des Gesprächs hilfreich sind.[99] Dies lässt sich, etwa in Bezug auf die unterschiedlichen Varianten einer Aufnahme (Originaldatenträger, Digitalisat) oder eines Transkripts (bearbeitete, korrigierte, anonymisierte Version), erweitern.

Die Sekundäranalyse birgt neben kleineren Fallstricken etliche Potenziale. Insbesondere narrative Interviews sind ausgesprochen reichhaltig. Dank der mittlerweile langjährigen Existenz von Oral History-Archiven können Interviews heute niedrigschwellig ausgewertet werden. Wie jede andere historische Quelle auch müssen sie dabei quellenkritisch eingeordnet werden. Dabei sind jedoch einige Aspekte zu bedenken, die Interviews von anderen Quellen unterscheiden.[100] Diese beziehen sich vor allem auf die Interviewsituation mit ihrer besonderen Dynamik, in der für einen bestimmten Zeitabschnitt eine intensive Beziehung zwischen Interviewenden und Interviewten herrscht und die für Außenstehende schwierig nachzuvollziehen ist. Auf den ersten Blick unprofessionell wirkendes Verhalten der Interviewenden sollte sorgfältig kontextualisiert werden. Dabei müssen der damalige Wissensstand und etwaige Grenzen des Sagbaren erkannt und in die Analyse einbezogen werden. Auf diese Weise geraten in der Sekundäranalyse die bisher meist vernachlässigten Interviewenden mit ihren Erkenntnisinteressen, ihrem Kommunikationsverhalten und ihren Sinnzusammenhängen wesentlich stärker in den Blick.[101]

Die erneute Auswertung von Interviews in anderen thematischen oder disziplinären Kontexten wird durch die Fahrt aufnehmende Digitalisierung stark geprägt.[102] Analoge Aufnahmen auf veralteten Speichermedien – vom Magnettonband zur MiniDisc – waren aus konservatorischen oder praktischen Gründen lange nicht zugänglich. Ihre unterdessen weitgehend abgeschlossene Digitalisierung ermöglicht nicht nur eine unkomplizierte Bereitstellung, sondern verhilft den Audio- oder Videoaufnahmen zu der analytischen Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Die Zugänglichkeit wird durch Online-Angebote zusätzlich erhöht. Mit wenigen Klicks lassen sich heute zahllose Interviews finden, die sich aus weit verstreuten Sammlungen zu neuen Samples zusammenstellen lassen. Digitale Auswertungsprogramme – wie atlas.ti oder maxqda – machen die massenhafte Analyse von Interviews möglich. Experimentiert wird mit algorithmischer Unterstützung, um große Korpora auswerten zu können.[103] Das Veränderungspotenzial der Digitalisierung zeigt erneut, wie stark die Entwicklung der Oral History technisch und medial bedingt ist. Seit ihren Anfängen entfaltete sie sich stets abhängig von Aufnahme-, Speicher- und Verbreitungsmöglichkeiten und -trends.[104]

Die Archivierungspraxis wird ebenfalls durch digitale Neuerungen geprägt. Das bereits erwähnte sammlungsübergreifende Online-Archivportal Oral-History.Digital, das sich derzeit im Aufbau befindet, unterstützt Sammlungsinhaber:innen und Forschende bei der Archivierung, Erschließung und digitalen Bereitstellung ihrer Interviews und setzt somit Standards in diesem Bereich.[105] Mit fortschreitender Zeit werden archivierte Interviews – und das ist alles andere als ein Manko – ihren Status als Quellen der Zeitgeschichte verlieren. Als relevante und zu erhaltende Forschungsdaten betrachtet – ein Begriff, der in den hermeneutisch orientierten Geisteswissenschaften bisher eine geringe Rolle gespielt hat –, kommen sie zudem nicht nur für die historische Forschung, sondern auch für andere Forschungskontexte in Frage.

Dieses gegenwärtig hohe Interesse an Interviews wird unterstützt vom Vorhaben, eine nationale Forschungsdateninfrastruktur aufzubauen, die von wissenschaftlichen wie ökonomischen Argumenten geprägt ist.[106] Werden aus narrativen, lebensgeschichtlichen Interviews audiovisuelle Forschungsdaten, die mit Hilfe von digitalen Infrastrukturen leichter als bisher auffindbar werden, ergeben sich daraus Vorteile wie Nachteile. Zu den Vorzügen gehören die einfachere, zeit- und kostensparende Erreichbarkeit und die bequemere kollaborative Zugänglichkeit und Diskussion. Erleichtert werden damit auch die Verknüpfung von verschiedenen Interviewbeständen und ihre Auswertung unter anderen Fragestellungen. Zu den sich daraus ergebenden Herausforderungen könnte die Frage gehören, was die Möglichkeit, schier unbegrenzt große Samples zu bilden, für Folgen hat. Erschwert eine vereinfachte Zugänglichkeit von in höherer Zahl vorliegenden Interviews die Entscheidung, die Anzahl von Quellen zu begrenzen? Verstärken die nun einfacher anwendbaren digitalen Auswertungsprogramme die quantitative Analyse? Fragen nach einer digitalen Quellenkritik sind noch lange nicht abschließend geklärt.

Forschungsperspektivisch wäre zu fragen, was das standardisierte, schier unbegrenzte digitale Angebot mit der „unbändigen“ und einzigartigen Quelle Interview macht. Wird sie ihres Potenzials beraubt, Irritation und Widerspruch zu gängigen Vergangenheitserzählungen auszulösen? Führt eine massenhafte Auswertung von Interviewdaten zwangsläufig zu einer unzulässigen De-Kontextualisierung der eigensinnigen – historisch, biografisch, gesprächssituativ, audio(visuell) spezifischen – Erzählungen? Eine Oral History, die diese Kontexte berücksichtigt, ist ertragreich, macht aber viel Arbeit. Erfreulicherweise ließen und lassen sich viele davon nicht abhalten und arbeiten mit einer Methode, die im wissenschaftlichen Kontext das besondere Mehr an theoretischer Reflexion, sozialer Kompetenz und dem knappsten Gut überhaupt, der Zeit, benötigt.

 

Server des Internet Archive in San Francisco. Fotograf: Jason Scott, 2013, Quelle: Flickr. Lizenz: CC BY 2.0 [20.03.2023]
Server des Internet Archive in San Francisco. Fotograf: Jason Scott, 2013, Quelle: Flickr. Lizenz: CC BY 2.0 [20.03.2023]

 

7. Ausblick

Die Oral History ist heute im Zentrum der Geschichtswissenschaften angekommen. Sie hat sich von einer skeptisch beäugten Methode, deren Vertreter:innen nur bedingt als Wissenschaftler:innen ernst genommen wurden, zu einem vitalen und integralen Teil der Zeitgeschichtsforschung entwickelt. Musste man sich früher bei der Verwendung von mündlichen Quellen rechtfertigen, ist heute gelegentlich das Gegenteil der Fall. Ein zeithistorisches Forschungsprojekt, das die Sichtweise der historischen Akteur:innen ignoriert, muss sich Kritik gefallen lassen. Sobald Zeitzeug:innen greifbar sind, sollten diese auch befragt werden, so der neue Imperativ. Das ist zum einen erfreulich, zum anderen bedenklich – insbesondere, wenn die jahrzehntelangen Diskussionen innerhalb der Oral History, die theoretischen und methodischen Verfeinerungen und Erkenntnisse, nur bedingt rezipiert werden.

Denn Oral History als Methode und Forschungsperspektive bleibt aufwändig und kann vor allem dann sinnvoll umgesetzt werden, wenn die Fragestellung auf die Selbst-, Welt- und Vergangenheitsdeutungen historischer Akteur:innen und/oder die Verarbeitung ihrer Erfahrungen zielt. Als spezifische Sicht- und Herangehensweise verstanden, sind unterschiedlichste Themen auf der Basis von mündlichen Quellen erforschbar, die weit über die „klassischen“ Oral-History-Themen im Bereich der NS-Forschung oder der Alltagsgeschichte der „kleinen Leute“ hinausreichen. Die manchmal geäußerten Befürchtungen, dass Generationen, deren Lebenserfahrungen stärker von Wohlstand und Aufstieg als von Diktatur - und Gewalterfahrungen geprägt sind, historiografisch nichts Relevantes zu erzählen haben, lassen sich rasch zerstreuen[107] – ganz abgesehen davon, dass Themen wie etwa Krieg, Gewalt und Pandemien nicht auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts beschränkt sind. Mit Oral History viel beforscht werden aktuell Themen im Bereich der Migrationsgeschichte, der Postcolonial Studies sowie der Geschlechter- und Sexualitätsgeschichte. Nicht wegzudenken sind in der gegenwärtigen geschichtswissenschaftlichen Forschungspraxis auch Aufarbeitungsprojekte historischen Unrechts – etwa zum Missbrauch in der katholischen und evangelischen Kirche, zur Heimerziehung und weiteren fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen.

Durch die mittlerweile jahrzehntelange Archivierungspraxis verschiebt sich zudem der zeitliche Horizont; auch wenn die Zeitzeug:innen verstorben sind, bleiben ihre Narrative zugänglich. Das ermöglicht es, Oral History über die Epoche der Mitlebenden hinaus zu praktizieren. Nicht zuletzt historisiert sich die Oral History auf inspirierende Weise seit einiger Zeit selbst.[108] Bei einer erneuten Analyse von archivierten Interviews geraten die Interviewer:innen verstärkt in den Blick. Ihre Fragen, ihr Erkenntnisinteresse und ihre Deutungen im Gespräch werden in ihrem historiografischen Kontext interpretiert, was einer Wissenschafts- und Wissensgeschichte der Oral History Vorschub leistet. Der Blick in die Zukunft der Oral History ist also erfreulich positiv, ihre Vielfalt in methodischer und thematischer Hinsicht stellt sicher, dass sie auch weiterhin ein einspruchsreiches und lebendiges Forschungsfeld bleiben wird.

 

 

[1] Wir danken der Docupedia-Redaktion, den anonymen Gutachter:innen sowie den Kolleg:innen im Forschungskolloquium der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg für die vielen wertvollen Anregungen.

[2] Vgl. Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt a.M. 42004 (1. Aufl. 2001), S. 306f.

[3] Alessandro Portelli, What Makes Oral History Different, in: Robert Perks/Alistair Thomson (Hrsg.), The Oral History Reader, Abingdon/New York 32016 (1. Aufl. 1998), S. 48-57, hier S. 49; Kritik im deutschen Kontext kam z.B. von Hans-Ulrich Wehler, Alltagsgeschichte. Königsweg zu neuen Ufern oder Irrgarten der Illusionen?, in: ders. (Hrsg.), Aus der Geschichte lernen? Essays, München 1987, S. 130-151.

[4] Vgl. etwa Benno Gammerl, anders fühlen. Schwules und lesbisches Leben in der Bundesrepublik. Eine Emotionsgeschichte, München 2021; Grit Lemke, Kinder von Hoy. Freiheit, Glück und Terror, Berlin 2021; Christina von Hodenberg, Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte, München 2018.

[5] Vgl. Lynn Abrams, Oral History Theory, London 2010, S. 2-3. Zur Diskussion dieser Frage in der frühen deutschen Oral History vgl. Alexander C.T. Geppert, Forschungstechnik oder historische Disziplin? Methodische Probleme der Oral History, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994), H. 5, S. 303-323, online unter https://www.academia.edu/326617/Forschungstechnik_oder_historische_Disziplin_Methodische_Probleme_der_Oral_History [20.03.2023].

[6] Lutz Niethammer, Einführung, in: ders. (Hrsg.), Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der „Oral History“, Frankfurt a. M. 21985 (1. Aufl. 1980), S. 7-33, hier S. 26.

[7] Ebd., S. 27; ähnlich: Herwart Vorländer, Mündliches Erfragen von Geschichte, in: ders. (Hrsg.), Oral History. Mündlich erfragte Geschichte, Göttingen 1990, S. 7-28, hier S. 7. Zur nordamerikanischen Begriffsdebatte vgl. Alexander Freund/Kristina R. Llewellyn/Nolan Reilly, Introduction, in: dies. (Hrsg.), The Canadian Oral History Reader, Montreal 2015, S. 3-24, hier S. 7; Louis M. Starr, Oral History in den USA. Probleme und Perspektiven, in: Niethammer (Hrsg.), Lebenserfahrung, S. 37-74.

[8] Zur Bedeutung der Originalaufnahme vgl. Andrea Althaus u.a., Ein Interview, zwei Gesprächspartner, drei Fragehorizonte, vier Mithörerinnen. Deutungsmöglichkeiten einer archivierten Audioaufnahme, in: Linde Apel (Hrsg.), Erinnern, erzählen, Geschichte schreiben. Oral History im 21. Jahrhundert, Berlin 2022, S. 81-117, online unter https://zeitgeschichte-hamburg.de/files/public/FZH/PDF/apel_erinnern_ebook_offen.pdf [20.03.2023].

[9] Julia Obertreis/Anke Stephan, Erinnerung, Identität und „Fakten“. Die Methodik der Oral History und die Erforschung (post)sozialistischer Gesellschaften, in: dies. (Hrsg.), Erinnerungen nach der Wende. Oral History und (post)sozialistische Gesellschaften, Essen 2009, S. 9-36, hier S. 9.

[10] Zum interdisziplinären Zusammenhang der Oral History vgl. Ulrike Jureit, Erinnerungsmuster. Zur Methodik lebensgeschichtlicher Interviews mit Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager, Hamburg 1999.

[11] Zur inter- und transnationalen Entwicklung der Oral History sowie ihren diversen kulturellen (Aus-)Prägungen jenseits westlicher Industrieländer vgl. Paul Thompson/Joanna Bornat, The Voice of the Past. Oral History, New York 42017 (1. Aufl. 1978), S. 52-108.

[12] Niethammer, Einführung, S. 7; vgl. dazu Ulrike Jureit, Die Entdeckung des Zeitzeugen. Faschismus- und Nachkriegserfahrungen im Ruhrgebiet, in: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hrsg.), 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen 2007, S. 174-177.

[13] Franka Maubach, „Mehr Geschichte wagen“! LUSIR und die ganze Geschichte der Arbeiter im Ruhrgebiet vor, während und nach dem Nationalsozialismus, in: Sprache und Literatur 47 (2018), H. 1, S. 29-57, online unter https://brill.com/view/journals/sul/47/1/article-p29_29.xml?language=de [20.03.2023]; vgl. Lutz Niethammer (Hrsg.), Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930-1960, 3 Bde., Bonn/Berlin 1983/85.

[14] Siehe z.B. Freund/Llewellyn/Reilly, Introduction, S. 3.

[15] Vgl. Adelheid von Saldern, „Schwere Geburten“. Neue Forschungsrichtungen in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft (1960-2000), in: WerkstattGeschichte 40 (2005), H. 2, S. 5-30.

[16] Vgl. Martin Sabrow, Der Zeitzeuge als Wanderer zwischen zwei Welten, in: ders./Norbert Frei (Hrsg.), Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttingen 2012, S. 13-32, hier S. 21f. Dass nicht jedes Interviewvorhaben diesem Anspruch folgte, zeigt Maik Ullmann, Oral History von rechts. Einstige Eliten der „Stadt des KdF-Wagens“ im Gespräch mit Bernhard Gericke, Hannover 2022.

[17] Zur Bedeutung der Oral History in post-sozialistischen Staaten vgl. Obertreis/Stephan, Erinnerungen.

[18] Vgl. Donald A. Ritchie, Doing Oral History. A Practical Guide, New York ³2015 (1. Aufl. 1994); zur Entwicklung der US-amerikanischen Oral History im Zusammenhang mit der häufig privatwirtschaftlichen Finanzierung von Archiven vgl. Lutz Niethammer, Oral History in USA. Zur Entwicklung und Problematik diachroner Befragungen, in: Archiv für Sozialgeschichte 18 (1978), S. 457-501, hier S. 465f., online unter https://library.fes.de/afs/pdf/afs-1978-457.pdf [20.03.2023].

[19] Dorothee Wierling, Oral History, in: Michael Maurer (Hrsg.), Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft (Aufriß der Historischen Wissenschaften; 7), Stuttgart 2003, S. 81-151, hier. S. 87.

[20] Vgl. dazu ausführlicher: Andrea Althaus, Vom Glück in der Schweiz? Weibliche Arbeitsmigration aus Deutschland und Österreich (1920-1965), Frankfurt a.M. 2017, S. 35-51.

[21] Vgl. Roswitha Breckner, Von den „Zeitzeugen“ zu den „Biographen“. Methoden der Erhebung und Auswertung lebensgeschichtlicher Interviews, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.), Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte, Münster 1994, S. 199-222.

[22] Ronald J. Grele, Ziellose Bewegung. Methodologische und theoretische Probleme der Oral History, in: Niethammer, Lebenserfahrung, S. 195-220, hier S. 205.

[23] Portelli, What Makes; zum Wandel von einer faktenorientierten zu einer deutungsinteressierten Oral History vgl. Abrams, Oral, S. 5; vgl. Harald Welzer, Das Interview als Artefakt. Zur Kritik der Zeitzeugenforschung, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 13 (2000), H. 1, S. 51-63.

[24] Vgl. Thompson/Bornat, The Voice, S. 23-50.

[25] Die Interviews sind online zugänglich: https://voices.library.iit.edu [20.03.2023]; vgl. auch Daniel Schuch, Transformationen der Zeugenschaft. Von David P. Boders frühen Audiointerviews zur Wiederbefragung als Holocaust Testimony, Göttingen 2021 sowie die Website https://www.dp-boder-1946.uni-jena.de [20.03.2023].

[26] Der Eichmann-Prozess 1961 war zwar für die öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung von subjektiven Aussagen von Holocaustüberlebenden zentral, hatte jedoch keine unmittelbare Auswirkung auf die Oral History. Vgl. Jan Taubitz, Holocaust Oral History und das lange Ende der Zeitzeugenschaft, Göttingen 2016, bes. S. 65; vgl. Gerda Klingenböck, „Stimmen aus der Vergangenheit“. Interviews von Überlebenden des Nationalsozialismus in systematischen Sammlungen von 1945 bis heute, in: Daniel Baranowski (Hrsg.), „Ich bin die Stimme der sechs Millionen.“ Das Videoarchiv im Ort der Information, Berlin 2009, S. 27-40.

[27] Vgl. USC Shoah Foundation, https://sfi.usc.edu [20.03.2023]; vgl. dazu auch Linde Apel, „You are participating in history“. Das Visual History Archive der Shoah Foundation, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 5 (2008), H. 3, S. 438-445, https://zeithistorische-forschungen.de/3-2008/4392 [20.03.2023].

[28] Vgl. Ulrike Jureit/Karin Orth, Überlebensgeschichten. Gespräche mit Überlebenden des KZ-Neuengamme, Hamburg 1994; vgl. Jureit, Erinnerungsmuster; vgl. Alexander von Plato/Almut Leh/Christoph Thonfeld (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien/Köln 2008. Die Interviews sind online verfügbar: https://www.zwangsarbeit-archiv.de/index.html [20.03.2023].

[29] Vgl. Julia Obertreis, Oral History. Geschichte und Konzeptionen, in: dies. (Hrsg.), Oral History. Basistexte, Stuttgart 2012, S. 7-30, hier: S. 7f; vgl. Columbia Center for Oral History Research, https://www.ccohr.incite.columbia.edu [20.03.2023].

[30] Vgl. etwa Nancy MacKay, Curating Oral Histories. From Interview to Archive, Walnut Creek 2016.

[31] Vgl. Rebecca Sharpless, The History of Oral History, in: Thomas L. Charlton/Lois E. Myers/Rebecca Sharpless (Hrsg.), Handbook of Oral History. Foundations and Methodology, Lanham 2007, S. 9-32; vgl. Wierling, Oral History, S. 83-93.

[32] Vgl. Thompson/Bornat, The Voice, S. 16f.; 61-70.

[33] Zur vergleichbaren Entwicklung in Österreich vgl. Gerhard Botz/Josef Weidenholzer (Hrsg.), Mündliche Geschichte und Arbeiterbewegung. Eine Einführung in Arbeitsweisen und Themenbereiche der Geschichte „geschichtsloser“ Sozialgruppen, Wien u.a. 1984.

[34] Vgl. Dirk van Laak, Alltagsgeschichte, in: Maurer, Neue Themen, S. 14-80.

[35] Vgl. Niethammer, Einführung, S. 11.

[36] Vgl. Silke Satjukow, „Zeitzeugen der ersten Stunde“. Erinnerungen an den Nationalsozialismus in der DDR, in: Sabrow/Frei (Hrsg.), Geburt, S. 201-223; Petra Clemens, The State of Oral History in the GDR, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History, Special Issue 1990, S. 107-114.

[37] Zur ideologischen Begründung der Ablehnung von Oral History in der DDR vgl. Lutz Niethammer, Glasnost privat 1987, in: ders./Alexander von Plato/Dorothee Wierling, Die volkseigene Erfahrung. Eine Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR. 30 biographische Eröffnungen, Berlin 1991, S. 9-73, hier S. 10.

[38] Vgl. ebd., S. 23.

[39] Vgl. dazu umfassend: Hans Joachim Schröder, Interviewliteratur zum Leben in der DDR. Zur literarischen, biographischen und sozialgeschichtlichen Bedeutung einer dokumentarischen Gattung, Berlin/New York 2001.

[40] Vgl. dazu am Beispiel der eigenen Aktivitäten: Annette Leo, Oral History in der DDR. Eine sehr persönliche Rückschau, in: Knud Andresen/Linde Apel/Kirsten Heinsohn (Hrsg.), Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, Göttingen 2015, S. 130-143; vgl. auch Lutz Niethammer, Oral History, in: Ilko-Sascha Kowalczuk (Hrsg.), Paradigmen deutscher Geschichtswissenschaft. Ringvorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin 1994, S. 189-210, hier S. 194f.

[41] Niethammer/Plato/Wierling (Hrsg.), Die volkseigene Erfahrung. Das Projekt trug nicht zuletzt zur Vernetzung und Diskussion über die Oral History in der späten DDR und in der neuen Bundesrepublik bei.

[42] Lutz Niethammer, Ego-Histoire? Und andere Erinnerungs-Versuche, Wien u.a. 2002, S. 141.

[43] Annemarie Tröger/Lore Kleiber/Ingrid Wittmann, Mündliche Geschichte. Ein Charlottenburger Kiez in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus (1982), in: Regine Othmer/Dagmar Reese/Carola Sachse (Hrsg.), Kampf um feministische Geschichten. Texte und Kontexte 1970-1990, Göttingen 2021, S. 177-203, online unter https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/2021-07/troeger_feministische%20geschichten_inhalt_Einleitung2.pdf [20.03.2023].

[44] Zur Professionalisierung und Verbreitung der Oral History im internationalen Austausch (im Zusammenhang mit der nationalen Marginalisierung) vgl. Annette Leo/Franka Maubach (Hrsg.), Den Unterdrückten eine Stimme geben? Die International Oral History Association zwischen politischer Bewegung und wissenschaftlichem Netzwerk, Göttingen 2013, bes. S. 14, sowie Agnès Arp, Nationale Grenzüberschreitungen mit Rückkopplung. Die Internationalität des Netzwerks, in: Leo/Maubach (Hrsg.), Den Unterdrückten, S. 160-194; vgl. auch: International Oral History Association, https://www.ioha.org [20.03.2023].

[45] Niethammer, Einführung, S. 12f.

[46] Axel Schildt, Avantgarde der Alltagsgeschichte. Der Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte von den 1970er bis zu den 1990er Jahren, in: Andresen/Apel/Heinsohn (Hrsg.), Es gilt das gesprochene Wort, S. 195-209, hier S. 202; vgl. Michael Sauer, Spurensucher. Ein Praxisbuch für historische Projektarbeit, Hamburg 2014. Das Jahr 1979 gilt insgesamt als erinnerungskultureller Wendepunkt, was mit der Ausstrahlung der US-amerikanischen TV-Serie „Holocaust“ zusammenhängt, die die nationalsozialistische Judenverfolgung und -vernichtung ins öffentliche Bewusstsein rückte, vgl. Taubitz, Holocaust, S. 54.

[47] Vgl. Franka Maubach, Freie Erinnerung und mitlaufende Quellenkritik. Zur Ambivalenz der Interviewmethoden in der westdeutschen Oral History um 1980, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 26 (2013), H. 1, S. 28-52, hier S. 31, online unter https://elibrary.utb.de/doi/epdf/10.3224/bios.v26i1.16895 [20.03.2023].

[48] Entstanden ist daraus u.a. der grundlegende und bis heute breit rezipierte Methodenaufsatz von Lutz Niethammer, Fragen – Antworten – Fragen. Methodische Erfahrungen und Erwägungen zur Oral History, in: ders./Alexander von Plato (Hrsg.), „Wir kriegen jetzt andere Zeiten“. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern, Bd. 3, Bonn 1985, S. 392-445.

[49] Zu Peukerts konzeptioneller Prägung der WdE vgl. Linde Apel, Ein besonderes Gedächtnis der Stadt? Eine Bestandsaufnahme zum 30-jährigen Jubiläum der Werkstatt der Erinnerung, in: dies. (Hrsg.), Erinnern, S. 49-80, online unter https://zeitgeschichte-hamburg.de/files/public/FZH/PDF/apel_erinnern_ebook_offen.pdf; vgl. auch die Website der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), https://zeitgeschichte-hamburg.de/wde.html [20.03.2023].

[50] Seit 1988 Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History, seit 2001 Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen. Vgl. die Website des Instituts für Geschichte und Biographie, https://www.fernuni-hagen.de/geschichteundbiographie [20.03.2023].

[51] Niethammer/Plato/Wierling (Hrsg.), Die volkseigene Erfahrung.

[52] So u.a. am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam: https://zzf-potsdam.de/de/zeitgeschichte-digital/online-sammlung-oral-history [20.03.2023]. Mit der jüngst ins Leben gerufenen Oral History-Forschungsstelle an der Universität Erfurt entsteht aktuell ein neues ostdeutsches Zentrum der Oral History: https://www.uni-erfurt.de/philosophische-fakultaet/seminare-professuren/historisches-seminar/professuren/neuere-und-zeitgeschichte-und-geschichtsdidaktik/oral-history-forschungsstelle [20.03.2023].

[53] Vgl. Alexander Weidle, Neuntes Netzwerktreffen Oral History, 29.4.-30.4.2021 (digital), Tagungsbericht, in: H-Soz-Kult, 25.06.2021, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-127543 [20.03.2023].

[54] Vgl. die Website des Projekts: Oral-History.Digital, https://www.oral-history.digital [20.03.2023]. Der Verein Oralhistory.ch vernetzt Schweizer Oral Historians. Auch in Polen, Tschechien, Israel, Großbritannien, USA, Kanada und vielen weiteren Staaten gibt es nationale Oral History-Zusammenschlüsse.

[55] Lynn Abrams datiert den „Theoretical Turn“ in der Oral History auf die 1970er-Jahre. Lynn Abrams, Transforming Oral History through Theory, in: Thompson/Bornat, The Voice, S. 132-139, hier S. 133. Zu den Theorieangeboten aus anderen Disziplinen vgl. grundlegend Jureit, Erinnerungsmuster.

[56] Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, Stuttgart 1967, S. 59 (zuerst: La mémoire collective, Paris 1939). Zur kommunikativen Gebundenheit von Erinnerungen vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1999 (zuerst 1992), S. 36f.

[57] Siehe dazu Michael Pollak, Die Grenzen des Sagbaren. Lebensgeschichten von KZ-Überlebenden als Augenzeugenberichte und als Identitätsarbeit, Frankfurt a.M. 1988 (erweiterte Neuauflage Wien 2016); vgl. auch Donald E. Miller/Lorna Touryan Miller, Survivors. An Oral History of the Armenian Genocide, Berkeley 1999. 

[58] Vgl. Carlos Kölbl/Jürgen Straub, Erinnerung, in: Petra Kolmer/Armin Wildfeuer (Hrsg.), Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Freiburg i.Br. 2011, S. 668-688, hier S. 669.

[59] Vgl. Jürgen Straub, Erzähltheorie/Narration, in: Günter Mey/Katja Mruck (Hrsg.), Handbuch qualitative Forschung in der Psychologie, Wiesbaden 2010, S. 133-146, hier S. 137; vgl. auch die geschichtstheoretischen Arbeiten von Jörn Rüsen, der dem historischen Erzählen als Mittel zur Organisation von Zeiterfahrung eine sinn- und orientierungsstiftende Funktion zuschreibt, etwa in: Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens, Frankfurt a.M. 2012 (Neuausgabe, Erstausgabe 1990).

[60] Ein breit diskutiertes Beispiel einer fiktiven Biografie eines Holocaust-Opfers, die zunächst als Autobiografie publiziert wurde, enthält das Buch „Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1938-1949“ von Benjamin Wilkomirski (Frankfurt a.M. 1995). Vgl. dazu Stefan Mächler, Der Fall Wilkomirski. Über die Wahrheit einer Biographie, Zürich 2000, sowie Gregor Spuhler, Der Fall Wilkomirski als Herausforderung für die Oral History, in: Konrad J. Kuhn/Katrin Sonntag/Walter Leimgruber (Hrsg.), Lebenskunst. Erkundungen zu Biographie, Lebenswelt und Erinnerung, Köln 2017, S. 540-549.

[61] Christian Klein/Matías Martínez (Hrsg.), Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens: Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens Stuttgart/Weimar 2009, S. 1-13, hier S. 1.

[62] Vgl. Alfred Schütz/Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, Konstanz 2003, S. 449f. (zuerst 1979/1984).

[63] Jureit, Erinnerungsmuster, S. 27.

[64] Vgl. Straub, Erzähltheorie, S. 137.

[65] Alexander von Plato, Oral History und Biografie-Forschung als „Verhaltens- und Erfahrungsgeschichte“. Eine wissenschaftsgeschichtliche Skizze, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen (2011), H. 45, S. 37-49 [Hervorhebung im Original].

[66] Vgl. Jureit, Erinnerungsmuster, S. 33. Die Kategorie „wahr“ (in der dichotomen Abgrenzung zu „falsch“) ist im Umgang mit Interviews nicht hilfreich. Zum geeigneteren Begriff der Wahrhaftigkeit vgl. Gabriele Rosenthal, Die erzählte Lebensgeschichte als historisch-soziale Realität. Methodologische Implikationen für die Analyse biographischer Texte, in: Berliner Geschichtswerkstatt, Alltagskultur, S. 125-138, hier S. 129f.

[67] Vgl. z.B. Mary Chamberlain/Paul Thompson (Hrsg.), Narrative and Genre, London/New York 1998.

[68] Portelli, What Makes, S. 49.

[69] Zur Bedeutung räumlicher und körperlicher Dimensionen in der Analyse audiovisueller Interviews vgl. Albert Lichtblau, Opening Up Memory Space. The Challenges of Audiovisual History, in: Donald A. Ritchie (Hrsg.), The Oxford Handbook of Oral History, Oxford 2012, S. 277-284; zu den vor- und nachteiligen Eigenschaften von Videos im Vergleich zu Audios vgl. Katja Krause, Interview mit Albert Lichtblau: Oral History – Interviewführung und Interviewinterpretation, Berlin 31.08.2012, in: Interview-Archiv „Zwangsarbeit 1939-1945“, https://www.zwangsarbeit-archiv.de/projekt/experteninterviews/lichtblau/index.html [20.03.2023]; vgl. dazu auch das Kapitel „Doing Video Oral History“, in: Ritchie, Doing, S. 137-160.

[70] Vgl. Portelli, What Makes, S. 50; vgl. auch Vorländer, Mündliches, S. 24; vgl. Alfred Fleßner, Hören statt lesen. Zur Auswertung offener Interviews im Wege einfühlenden Nachvollziehens, in: Sozialer Sinn 2 (2001), H. 2, S. 349-358, hier S. 351f. Zu beachten ist, dass die Aufzeichnung selbst nur ein fragmentarisches Abbild der eigentlichen Interviewsituation darstellt. Vgl. Niethammer, Fragen, S. 405f.

[71] Vgl. Grele, Ziellose Bewegung, S. 205f.; vgl. Vorländer, Oral History, S. 16-20; vgl. Welzer, Interview als Artefakt; vgl. Dorothee Wierling, Zeitgeschichte ohne Zeitzeugen. Vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis – drei Geschichten und zwölf Thesen, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 21 (2008), H. 1, S. 28-36, online unter https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/27020 [20.03.2023].

[72] Vgl. Niethammer, Lebenserfahrung, S. III.

[73] Ein Gegenbeispiel thematisiert Linde Apel, Jung interviewt Alt. Ein Lehrstück des Scheiterns, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 25 (2012), H. 2, S. 296-316, online unter https://elibrary.utb.de/doi/pdf/10.3224/bios.v25i2.08 [20.03.2023].

[74] Michael Frisch, A Shared Authority. Essays on the Craft and Meaning of Oral and Public History, New York 1990.

[75] Vgl. Linda Shopes, Sharing Authority, in: The Oral History Review 30 (2003), H. 1, S. 103-110; vgl. Daniel Kerr, „We Know What the Problem Is“. Using Video and Radio Oral History to Develop Collaborative Analysis of Homelessness, in: Perks/Thomson (Hrsg.), Oral History Reader, S. 626-635.

[76] Vgl. Abrams, Oral, S. 174.

[77] Vgl. etwa Kerstin Brückweh/Clemens Villinger/Kathrin Zöller (Hrsg.), Die lange Geschichte der „Wende“. Geschichtswissenschaft im Dialog, Berlin 2020.

[78] Siehe u.a. Kate Reed/Marcia C. Schenck, The Right to Research. Historical Narratives by Refugee and Global South Researchers, Montreal/Kingston 2023; vgl. auch das BMBF-Projekt Interkulturelles Digitales Erinnerungsarchiv. Migrantinnengeschichte als Teilhabe, Laufzeit: 2019-2022, https://heridea.de, und das gegenwärtig laufende Projekt Ostdeutsche Migrationsgesellschaft selbst erzählen, http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/15330 [beide 20.03.2023].

[79] Vgl. dazu Almut Leh, Forschungsethische Probleme in der Zeitzeugenforschung, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 13 (2000), H. 1, S. 64-76; vgl. Wierling, Zeitgeschichte.

[80] Vgl. Vorländer, Oral History, S. 25; vgl. Abrams, Transforming, S. 132.

[81] Vgl. Fritz Schütze, Die Technik des narrativen Interviews in Interaktionsfeldstudien. Arbeitsberichte und Forschungsmaterialien Nr. 1 der Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie, 1977; Albrecht Lehmann, Erzählstruktur und Lebenslauf. Autobiographische Untersuchungen, Frankfurt a.M. 1983; Alexander von Plato, Interview-Richtlinien, in: ders./Leh/Thonfeld (Hrsg.), Hitlers Sklaven, S. 443-450.

[82] Vgl. Breckner, Von den „Zeitzeugen“, S. 202-209.

[83] Vgl. Studs Terkel/Tony Parker, Interviewing an Interviewer, in: Perks/Thomson (Hrsg.), Oral History Reader, S. 147-152, hier S. 148.

[84] Vgl. Leh, Forschungsethische Probleme, S. 69; Alexander von Plato plädiert für eine vierte Phase, in der Erzählinhalte kritisch diskutiert werden können. Vgl. Plato, Interview-Richtlinien, S. 446-448.

[85] Vgl. z.B. die „Best Practices“ Guidelines der amerikanischen Oral History Association: https://www.oralhistory.org/best-practices [20.03.2023]; vgl. Valerie R. Yow, Interviewing Techniques and Strategies, in: Perks/Thomson (Hrsg.), Oral History Reader, S. 153-178; vgl. dies., Recording Oral History. A Guide for the Humanities and Social Sciences, Walnut Creek 2005.

[86] Formulare für Einverständniserklärungen aus verschiedenen Projekten finden sich unter https://www.oral-history.digital/dokumente/index.html [20.03.2023].

[87] Vgl. dazu Frieder Stöckle, Zum praktischen Umgang mit Oral History, in: Vorländer, Oral History, S. 131-158, hier S. 137f.

[88] Vgl. OHA Statement on Ethics, https://www.oralhistory.org/oha-statement-on-ethics [20.03.2023]; vgl. Leh, Forschungsethische Probleme.

[89] Vgl. Institut für Zeitgeschichte, Archiv, https://www.ifz-muenchen.de/das-archiv/ueber-das-archiv/bestaende/zeugenschrifttum [20.03.2023].

[90] Vgl. Linde Apel, Gesammelte Erzählungen. Mündliche Quellen in der Werkstatt der Erinnerung, in: dies./Klaus David/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Aus Hamburg in alle Welt. Lebensgeschichten jüdischer Verfolgter aus der Werkstatt der Erinnerung, Hamburg/München 2011, S. 201-218, hier S. 202f.; das Columbia Center for Oral History Research archivierte ebenfalls lange Zeit nur die verschriftlichten Versionen der Interviews.

[91] Vgl. dazu Peter Hüttenberger, Zur Technik der zeitgeschichtlichen Befragungen, in: Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.), Mündliche Geschichte im Rheinland. Archivberatungsstelle, Köln 1991, S. 63-73 (zuerst in: Der Archivar 22 (1969), S. 167-176), online unter https://afz.lvr.de/media/archive_im_rheinland/publikationen/archivhefte/LVR_Archivheft22.pdf [20.03.2023]; ders., Zeitgeschichtliche Befragung: ein Nachtrag, Juli 1990, in: Landschaftsverband, Mündliche, S. 75-82.

[92] Die Webadressen der wichtigsten hier genannten Interviewarchive werden in der Materialumgebung zu diesem Artikel aufgeführt.

[93] Vgl. Paul Thompson, Re-Using Qualitative Research Data. A Personal Account, in: Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research 1 (2000), H. 3, Art. 27, https://doi.org/10.17169/fqs-1.3.1044 [20.03.2023]; James E. Fogerty, Oral History and Archives. Documenting Context, in: Thomas L. Charlton/Lois E. Myers/Rebecca Sharpless (Hrsg.), Handbook of Oral History, Lanham 2006, S. 207-229.

[94] Joanna Bornat, A Second Take. Revisiting Interviews with a Different Purpose, in: Oral History 31 (2003), H. 1, S. 47-53.

[95] Um ein Beispiel von Sekundäranalyse avant la lettre handelt es sich bei Christian Geulen/Karoline Tschuggnall (Hrsg.), Aus einem deutschen Leben. Lesarten eines biographischen Interviews, Tübingen 2000, in dem sieben Analysen eines Interviews aus unterschiedlichen Disziplinen versammelt sind.

[96] Brigitte Halbmayr, Sekundäranalyse qualitativer Daten aus lebensgeschichtlichen Interviews. Reflexionen zu einigen zentralen Herausforderungen, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 21 (2008), H. 2, S. 256-267, online unter https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/27027 [20.03.2023].

[97] Matthias Frese/Julia Paulus, Zeitzeugenschaft und mündliche Erinnerung. Zur Sekundäranalyse von Oral-History-Interviews. Einführung und Fragestellungen, in: Westfälische Forschungen 65 (2015), S. 237-242.

[98] Almut Leh, Vierzig Jahre Oral History in Deutschland. Beitrag zu einer Gegenwartsdiagnose von Zeitzeugenarchiven am Beispiel des Archivs „Deutsches Gedächtnis“, in: Westfälische Forschungen 65 (2015), S. 256-268, hier S. 265ff.

[99] Vgl. Linde Apel, Oral History reloaded. Zur Zweitauswertung von mündlichen Quellen, in: Westfälische Forschungen 65 (2015), S 243-254, hier S. 248-253.

[100] Zum quellenkritischen Umgang mit Interviews vgl. Jureit, Erinnerungsmuster, S. 28-35.

[101] Vgl. Linde Apel, Auf der Suche nach der Erinnerung. Interviews mit deutschen Juden im lokalhistorischen Kontext, in: Stefanie Fischer/Nathanael Riemer/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Juden und Nicht-Juden nach der Shoah. Begegnungen in Deutschland, München 2019, S. 195-209, online unter https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110570083-014/html?lang=de [20.03.2023].

[102] Vgl. dazu den von Almut Leh und Eva Ochs herausgegebenen Schwerpunkt „Digital Humanities und biographische Forschung“ in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 30 (2017), H. 1/2, S. 3-129; vgl. Douglas Boyd/Mary Larson, Oral History and Digital Humanities. Voice, Access and Engagement, New York 2014.

[103] Die Stiftung Haus der Geschichte und das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme loten aktuell die (Un-)Möglichkeiten der KI-basierten Interviewanalyse aus: https://www.hdg.de/stiftung/projekte [20.03.2023].

[104] Vgl. Douglas Boyd, Achieving the Promise of Oral History in a Digital Age, in: Ritchie (Hrsg.), The Oxford Handbook, S. 285-302, sowie Judith Keilbach, Mikrofon, Videotape, Datenbank. Überlegungen zu einer Mediengeschichte der Zeitzeugen, in: Sabrow/Frei (Hrsg.), Geburt, S, 281-299, online unter https://dspace.library.uu.nl/handle/1874/330348 [20.03.2023].

[105] Vgl. Almut Leh/Cord Pagenstecher/Linde Apel, Oral History im digitalen Wandel. Interviews als Forschungsdaten, in: Apel (Hrsg.), Erinnern, S. 193-222; https://www.oral-history.digital/ [20.03.2023].

[106] Siehe dazu die Pläne für die Bildung des Konsortiums NFDI4Memory für historisch arbeitende Fächer, die den Aufbau einer gemeinsamen und nachhaltigen nationalen Forschungsdateninfrastruktur zum Ziel hat. https://4memory.de/ [20.03.2023].

[107] Vgl. Knud Andresen/Linde Apel/Kirsten Heinsohn, Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute: Einleitung, in: dies. (Hrsg), Es gilt das gesprochene Wort, S. 7-23.

[108] Vgl. dazu Miroslav Vanek, Around the Globe. Rethinking Oral History with its Protagonists, Prag 2013; Leo/Maubach (Hrsg.), Den Unterdrückten; Alexander von Plato/Dorothee Wierling/Linde Apel, Zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Oral History, in: Apel (Hrsg.), Erinnern, S. 19-47.

 

 

Empfohlene Literatur zum Thema

Lynn Abrams, Oral History Theory, London 2016 (1. Aufl. 2010)

Knud Andresen/Linde Apel/Kirsten Heinsohn (Hrsg.), Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, Göttingen 2015

Linde Apel (Hrsg.), Erinnern, erzählen, Geschichte schreiben. Oral History im 21. Jahrhundert, Berlin 2022, https://zeitgeschichte-hamburg.de/files/public/FZH/PDF/apel_erinnern_ebook_offen.pdf

Ulrike Jureit, Erinnerungsmuster. Zur Methodik lebensgeschichtlicher Interviews mit Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager, Hamburg 1999

Lutz Niethammer, Fragen – Antworten – Fragen. Methodische Erfahrungen und Erwägungen zur Oral History, in: Ders./Alexander von Plato (Hrsg.), „Wir kriegen jetzt andere Zeiten.“ Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern. Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet, Bd. 3, Berlin 1985, S. 392-445

Julia Obertreis (Hrsg.), Oral History. Basistexte, Stuttgart 2012

Robert Perks/Alistair Thomson (Hrsg.), Oral History Reader, New York 2016 (1. Aufl. 1998)

Alexander von Plato, Interview-Richtlinien, in: Ders./Almut Leh/Christoph Thonfeld (Hrsg.), Hitlers Sklaven, Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien 2008, S. 443-450

Alessandro Portelli, What Makes Oral History Different, in: Robert Perks/ Alistair Thomson (Hrsg.), The Oral History Reader, New York 2016 (1. Aufl. 1998), S. 48-57

Donald A. Ritchie (Hrsg.), The Oxford Handbook of Oral History, Oxford 2012

Paul Thompson/Joanna Bornat (Hrsg.), The Voice of the Past. Oral History, New York 2017 (1. Aufl. 1978)

Herwart Vorländer (Hrsg.), Oral History. Mündlich erfragte Geschichte, Göttingen 1990

Dorothee Wierling, Oral History, in: Michael Maurer (Hrsg.), Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Bd. 7 (Aufriß der Historischen Wissenschaften), Stuttgart 2003, S. 81-151

 

 

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